Die Cappenberger Chorherren widmeten ihrem verehrten Stiftsgründer Gottfried eine bisweilen fantasievolle Biografie.
Obwohl Gottfried niemals Aufnahme in den Heiligenkalender der katholischen Kirche fand, wurde er in seinen Klostergründungen und in seiner Heimatregion bald nach seinem Tod verehrt. Relativ früh entstand eine erste Lebensbeschreibung des Stiftsgründers, die sich in weiten Teilen an gängige Muster von Heiligenlegenden anlehnt. Dieser älteren, ausführlichen Vita folgte eine kürzere jüngeren Datums sowie eine Art Lobrede in Gedichtform, die sogenannte metrische Vita.
Die Verfasser der drei Texte sind unbekannt, es gilt aber als sicher, dass sie von Cappenberger Chorherren geschrieben wurden – zur Erinnerung an den Mann, dem das Prämonstratenserstift seine Existenz verdankte. Gottfried von Cappenberg starb nur fünf Jahre, nachdem er das Stift ins Leben gerufen hatte. Im Unterschied zu seinem Bruder konnte er daher das noch im Aufbau befindliche Ordensleben kaum persönlich geprägt haben. Ohnehin war Gottfried in dieser Zeit oft unterwegs, um die juristischen Grundlagen der Gemeinschaft abzusichern. Daher nimmt die Forschung zu Recht an, dass nicht einmal der Verfasser der ältesten Vita seinen Protagonisten noch persönlich gekannt hat. Der Autor beruft sich stattdessen auf Augen- und Ohrenzeugenberichte. Einer seiner Gewährsleute wird Gottfrieds Bruder Otto gewesen sein. Die ältere Vita wurde noch zu seinen Lebzeiten verfasst, zumindest in ihren frühen Teilen.
Als Quellen sind mittelalterliche Lebensbeschreibungen von Heiligen mit Vorsicht zu genießen. Denn sie folgen einem bestimmten Schema: Meist geht es darum, das vorbildliche Leben eines Menschen darzustellen, dessen Heiligkeit sich bereits in den Kinderschuhen andeutet. Tugenden wie Frömmigkeit, Demut und Armenfürsorge werden besonders herausgestellt; ebenso wie wundersame Taten.
Von Gottfried heißt es, er habe schon vor seiner Bekehrung großes Mitleid mit Aussätzigen und Kranken gezeigt. Andererseits deuten Hinweise in anderen Quellen und sogar in der Vita darauf, dass Gottfried nicht von Kindheit an dem Klosterleben zugeneigt war. Zum Ritter erzogen, trat er elegant auf und heiratete, um die Position seines Geschlechts auszubauen. Kritisch zu beurteilen sind Beschreibungen von Äußerlichkeiten. Wenn die Rede ist von Gottfrieds „strahlenden und leuchtenden Augen“, so geht diese Beschreibung auf eine Stelle im Matthäus-Evangelium zurück (Matth. 6, 22–23).
Korrekt sind die in der Vita angegebenen Jahreszahlen, ebenso glaubwürdig die Verwandtschaftsverhältnisse seit der Großelterngeneration. Sie werden jeweils durch andere Quellen bestätigt. Das gleiche gilt auch für bestimmte Besitzangaben – etwa den Verkauf zweier schwäbischer Burgen an den Herzog von Schwaben. Nur am Rande berichtet die ältere Gottfried-Vita, dass Otto die religiösen Pläne seines Bruders anfangs ablehnte. Davon steht mehr in der Lebensbeschreibung des heiligen Norbert von Xanten. Möglicherweise wollte der Verfasser der Gottfried-Vita den noch lebenden Otto nicht in Verlegenheit bringen.
Niemeyer, Gerlinde, Ehlers-Kisseler, Ingrid: Die Viten Gottfrieds von Cappenberg, MGH SS Rer. Germ. 74, Hannover 2005