Reliquienbehältnis und Kaiserporträt: Der Cappenberger Kopf im wissenschaftlichen Diskurs.
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Gefertigt wurde der Kopf in der Mitte des 12. Jahrhunderts. Die kostbar vergoldete Bronzearbeit ist wohl den Quellen nach ein Geschenk des Kaisers Friedrich I. Barbarossa an seinen Patenonkel Otto von Cappenberg sein, als dieser 1156 Propst von Cappenberg wurde. Die herausragende künstlerische Qualität der gut 30 Zentimeter hohen Büste ist unbestritten. Ebenso unzweifelhaft ist die Funktion als Behältnis von Reliquien des Hl. Johannes. Trotzdem ist der so genannte Barbarossa-Kopf zum Gegenstand heißer Forschungsdiskussionen geworden. Mehr als ein Jahrhundert lang galt er als authentisches Bildnis des Kaisers Friedrich I. Barbarossa. Damit kam der Büste als frühes Porträt eines deutschen Herrschers eine einzigartige Bedeutung zu. Doch inzwischen haben sich Zweifel an dieser Interpretation gemehrt. Denn sowohl das mittelalterliche Verständnis von einem Bildnis als auch die historische Überlieferung sind nicht so eindeutig, als dass die These, es handle sich um ein lebendiges Abbild des Kaisers, unwidersprochen bleiben kann.
Die Crux liegt im Testament des Stiftsgründers und Propstes Ottos von Cappenberg begründet. Darin ist die Rede von einem „silbernen Haupt, das nach dem Bild des Kaisers geformt ist, mit seiner ebenfalls silbernen Schale“.
Es war Friedrich Philippi, Archivdirektor in Münster, der 1886 eine folgenschwere Behauptung aufstellte: Bei dem Cappenberger Kopf handele es sich um jenes Abbild des Kaisers, das laut Ottos Testament zur Taufschale gehöre. Dass die in Cappenberg überlieferte Büste nicht aus Silber, sondern eine vergoldete Bronzearbeit ist, bereitete Philippi nicht lange Kopfzerbrechen: Dem Schreiber der Urkunde sei da ein Fehler unterlaufen, erklärte er. Gerne wurde ihm geglaubt. Zu verführerisch klang im noch jungen wilhelminischen Kaiserreich die Idee, mit dem Cappenberger Kopf das erste mittelalterliche Porträt eines Herrschers zu besitzen.
Dabei fallen noch andere Besonderheiten auf. Keine der beiden Inschriften auf dem Cappenberger Kopf benennt den Kaiser als Stifter oder Dargestellten. Stattdessen besagt ein Schriftzug, dass „hierin“ etwas vom Haupthaar des Johannes bewahrt werde; der andere formuliert eine Fürbitte an den Heiligen. Eines der im Kopf erhaltenen Fragmente identifizierte die Göttinger Historikerin Hedwig Röckelein als Reliquie Johannes des Evangelisten. Otto von Cappenberg hatte ganz den Vorlieben seiner Zeit entsprechend diesen Heiligen sehr verehrt. In seinem Testament beschreibt er außerdem ein wertvolles Kreuz als „Kreuz des heiligen Johannes“. Und er war es wohl auch, der Johannes zum Patron der Cappenberger Stiftskirche machte.
Vieles spricht also dafür, dass der Cappenberger Kopf von Anfang an ein Johannes-Reliquiar gewesen ist. „Etliche Widersprüche lassen sich auflösen, wenn wir die Deutung des 19. Jahrhunderts außer Acht lassen und uns auf die Quelle konzentrieren“, sagte der Barbarossa-Biograf Knut Görich. Er wie auch zahlreiche andere Wissenschaftler halten es heute für möglich, dass es sich bei dem Kopfreliquiar durchaus um eine Kaiserdarstellung handelt, gedacht aber nicht als reales Porträt, sondern als repräsentatives Memorialbild. In diesem Sinne diente der Kopf den Chorherren von Cappenberg als Gedächtnisstütze: Er sollte sie daran erinnern, regelmäßig über die Kraft der Reliquien des Hl. Johannes für das Seelenheil von Barbarossa und seiner Familie zu beten.
Eine solche Frömmigkeit begleitete schon die Gründung des Klosters im Jahr 1122 und mag Barbarossas Vater zur Wahl Ottos als Paten für seinen Sohn bewogen haben. Dieser nun konnte sicher sein, im späteren Probst von Cappenberg und seinen Mitbrüdern stimmgewaltige Fürsprecher vor Gott und den immer einflussreicher werdenden Klöstern gefunden zu haben. Umgekehrt sollte sich das Patenkind als mächtiger Förderer des noch jungen Prämonstratenserordens erweisen.
Die vielen Fortschritte, aber auch die vielen verbliebenen und neu auftauchenden Fragen um den so genannten Barbarossa-Kopf in Cappenberg halten die Wissenschaft höchst lebendig. Die intensivierte (kunst)historische Recherche sowie die intelligente, am Ende auch plausible Verknüpfung mit den Ergebnissen modernster kunsttechnologischer Untersuchungen lassen stets auf neue Erkenntnisse hoffen.